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Fit mit Köpfchen - mentale Fitness von Dr. Christian Graz

Viele Teenager werden zu Opfern des Leistungssports

  • Dr. Christian Graz
Kürzlich kam Nicolas G. zu mir in die Sprechstunde. Der 17-Jährige hatte sich einige Monate zuvor entschieden, seinen eingeschlagenen Weg als Leistungssportler abzubrechen. Er wollte als Leichtathlet auf der Mittelstrecke Karriere machen, eines Tages bei Olympia und Weltmeisterschaften glänzen, das war sein Traum.
Im vergangenen Jahr wurde aber immer deutlicher, dass sein Talent wohl nicht ausreichen würde, um wirklich ganz an die Spitze zu gelangen, eine Verletzung hatte ihn zudem zurückgeworfen. Er fiel aus der Nachwuchsförderung. Nachdem er sein tägliches Trainingsprogramm abgebrochen hatte, machte sich eine Leere in ihm breit, er leidet unter mangelndem Antrieb und weiß nicht so recht, wie es weitergehen soll. Da er nie wirklich viel Zeit für die Schule aufbrachte, sind auf diesem Feld seine Leistungen schlecht, er ist durchgefallen und inzwischen deutlich älter als seine Klassenkameraden.

Dieser Fall macht eine Kehrseite des Leistungssports deutlich, die häufig tabuisiert wird. Immer mehr Teenager erleben einen frühen Karriereknick, bevor die eigentliche Laufbahn überhaupt richtig in Schwung gekommen ist und leiden dann häufig als Folge unter einer leistungssportassoziierten psychischen Störung, die gesellschaftlich kaum wahrgenommen wird. Typische solcher Störungen sind Angstzustände, Depressionen, Essstörungen und Suchterkrankungen.
Eine Ursache des Problems ist, dass Kinder und Jugendliche häufig von ihren Eltern in den Leistungssport getrieben werden. Sofern sie dort scheitern, begreifen sie sich als Versager und stehen dann subjektiv vor dem Nichts. Zunehmend landen solche Fälle wie Nicolas G. anschließend beim Psychologen.

Wenn Primärfamilien nicht selten im frühen Kindesalter entscheiden, ein Kind auf Leistungssport, Wettkämpfe und Weltrekorde vorzubereiten, steht allein das Ziel im Mittelpunkt. Weniger bedacht wird der Umgang mit Niederlagen, Scheitern, verletzungsbedingtem Karriereende, Einsamkeit und Überforderung. Die Sporteltern kindlicher Ausnahmetalente und jugendlicher Topathleten sind zumeist schlecht informiert über die komplexen Herausforderungen einer Sportkarriere. Körperliche Verletzungen und seelische Belastungen gehören zum Leistungssport dazu, ohne dass mit ihnen professionell seitens des familiären Umfeldes umgegangen wird.

Ganze Familie inklusive der Geschwister leben häufig für den sportlichen Erfolg eines jungen Familienmitgliedes, da bleibt wenig Zeit für andere Lebensinhalte. Die viele Rücksichtnahme kann zu Wut und Enttäuschungen führen. Was häufig fehlt bei dem Versuch, ein Mädchen oder einen Jungen sportlich an die Spitze zu bringen, ist die Vorbereitung auf die Realität außerhalb des Sports. Essenzielle Dinge werden unter dem Leistungsdruck vernachlässigt. Junge Athleten wenden kaum Ressourcen auf für andere Interessen, haben wenig Kontakt zur Gleichaltrigen, die Schule soll nebenbei laufen. Wenn Karrieren dann früh abgebrochen werden müssen, fehlt den Jugendlichen ein Netz, das sie auffängt.

Hinzu kommt, dass der Druck immer früher beginnt. Insbesondere durch soziale Medien startet die öffentliche Wahrnehmung viel zu früh, bevor die Persönlichkeit ausgereift und stabil ist. Wenn 12jährige 1.000 und mehr Follower haben, können bei schlechten Leistungen auch mal Shitstorms folgen, mit Auswirkungen auf den Selbstwert und in der Folge Insuffizienzgefühlen.

Im Fußball ist es inzwischen üblich, dass 15 bis 17jährige Talente für Millionensummen zu den großen Vereinen wechseln. Es entsteht die groteske Situation, dass die Nachwuchskicker oft ein Vielfaches ihrer Eltern verdienen. Der Umgang mit dem Geld kann dann zum Sprengstoff in der Familie werden.

Vorsicht ist geboten, wenn das Familienleben und die Entwicklung des Kindes einzig bestimmt wird vom Wettkampfkalender und den Sportverbänden. Viele Eltern besitzen nicht die Umsicht, gegen den Druck von außen sinnvoll gegenzusteuern.

Die Jugendlichen selbst werden in Vereinen oft bereits in jungen Jahren mental betreut, um sie auf die Herausforderungen des Sports vorzubereiten. Sporteltern müssten ebenfalls auf ihre Rolle vorbereitet werden. Dies erfolgt in der Praxis aber zumeist nicht. Bei allen notwendigen erfolgsorientierten Dimensionen des Leistungssports müssten sie verstehen, dass es zunächst bei Kindern auch um das Spielerische, die Lust, soziale Erfahrungen und sportliches „Messen“ in der Gleichaltrigengruppe geht. In Wirklichkeit sind die Eltern talentierter junger Sportler aber häufig überfordert und haben Angst, weitreichende Fehler zu machen.

Die Erfahrung zeigt: Sportmanager und -trainer des eigenen Kindes zu sein, birgt Vorteile, aber auch große Risiken. Wenn beispielsweise das eigene elterliche Wohlergehen dem Sporterfolg und -sieg des Kindes dauerhaft untergeordnet wird, führt auch das zu familiären Problemen. Zudem benötigen Kinder Freiheitsgrade, keine Dauerkontrolle und Kommentare zu jeder Trainingseinheit und zu jedem Wettkampf.

Wenn sich Eltern dennoch entscheiden, die Sportkarriere des Nachwuchses in die Hand zu nehmen, sollten sie frühzeitig auf ein Resilienztraining beim Kind achten, das auf Entspannungsübungen und Stressverarbeitungsmethoden aufbaut. Sie sollten auch Techniken kennen, die auf die Reduktion von Versagensängsten abzielen. Die Eltern müssten auch einschätzen können, welche Trainingsintensität zum entwicklungspsychologischen Stand ihres Kindes passt. Vorsicht ist auch geboten, wenn Sporteltern Mentaltrainer hinzuziehen. Die Ausbildung ist nicht einheitlich, der Beruf nicht geschützt und Zugangsvoraussetzungen sehr vage.

Ziel müsste es sein, eine regelmäßige Zusammenarbeit von Trainern, Sporteltern, Sportmedizinern, Sportpsychologen und Sportpsychiatern zu implementieren. Dabei sollte es dann darum gehen, kurzfristig eine Leistungsoptimierung zu erzielen und darüber hinaus einer bestmöglichen Langzeitgesundheitsprognose zu dienen. Das Augenmerk darf also nicht nur auf der Leistung, sondern auch auf der dauerhaften mentalen Gesundheit des jungen Sportlers liegen.
Dr Christian Graz
Zur Person: 


Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.

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