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„Verklebte Faszien sind nur ein Arbeitsmodell“

  • Nils Borgstedt
Faszien liegen laut aktueller Trainingswissenschaft und Sportmedizin voll im Trend. Aber warum ist das so und wie kann man die Faszien trainieren? Und bringt das überhaupt etwas? Eine Annäherung.

Faszien werden seit einigen Jahren heiß diskutiert. Immer mehr Therapeuten und auch Ärzte gehen dazu über, den „Umhüllungen“ der Muskeln und Organe mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Grund dafür liegt in ihrer Funktion. „Die Faszien und Muskeln stehen in einem Wechselverhältnis“, erklärt Arzt und Sportwissenschaftler Dr. Dr. Homayun Gharavi. „Wie die Muskeln selbst, verfügen auch die Faszien über zahlreiche Rezeptoren, unter anderem Schmerz- und Dehnungsrezeptoren. Je nachdem welcher Reiz nun gesetzt wird, sendet die Faszie über das Rückenmark Signale an den Muskel und kann damit seine An- und Entspannung direkt beeinflussen.“, sagt der Experte.

Faszien sind daher sehr wichtig für Bewegung und Bewegungssteuerung. Die Faszie selbst kann sich dabei aber nicht an- oder entspannen. Wohl kann sie aber eine Bewegung limitieren. „Man kann es gut mit einer sehr engen Jeans vergleichen. Wer eine solche trägt, kann nicht vernünftig in die Hocke gehen. So in etwa kann man sich Beschränkung durch die Faszien vorstellen.“, veranschaulicht Gharavi den komplexen Zusammenhang. Vor allem wenn man diese Bindegewebsstrukturen vernachlässigt, kann das negative Auswirkungen haben. „Man muss für Bewegung mehr Energie aufwenden, da man ‚gegen‘ die Faszien arbeiten muss, außerdem erlauben einem schlecht trainierte Faszien nur unsaubere Bewegungen.“

„Verklebte Faszien sind nur ein Arbeitsmodell“

Aber wie kommt es dazu, dass Faszien überhaupt an Elastizität einbüßen, umgangssprachlich gesagt „verkleben“? Der Schlüssel liegt in zu geringer Anforderung. „Man hat festgestellt, dass die Fasern von Faszien, die nicht auf Dehnung beziehungsweise Spannung gebracht werden, einen fast schon verfilzen Eindruck machen“, erklärt unser Experte, der auch Arzt der Russischen Olympiaschwimmer von London 2012 war. „Unter dem Mikroskop kann man das deutlich sehen.“

Weitere Gründe, warum Faszien ihre Funktion nicht mehr zu einhundert Prozent erfüllen, können Vernarbungen sein, beispielsweise aufgrund der Organisierung eines Hämatoms infolge eines Pferdekusses.

Um dem entgegen zu wirken, sollten die Faszien regelmäßig auf Spannung gebracht werden. Das gelingt durch passive Dehnung. „Faszien sind in ihrer Funktion passiv, sie werden in der Passivität aktiv. Erst wenn sie aufgespannt werden, senden sie Signale.“, sagt Gharavi.

Wer Probleme mit den Faszien hat – oftmals werden auch Rückenschmerzen durch unfunktionelle Faszien hervorgerufen –, hat in jedem Fall lange nichts für seinen Bewegungsapparat getan. „Bei beinahe jeder Körperstruktur, sei es Muskel oder Blutgefäß, kann der Körper einen Funktionsverlust von bis zu 80 Prozent kompensieren, ohne dass der Betroffene Symptome zeigen muss. Bei den Faszien gehe ich davon aus, dass es sich genauso verhält.“ Daher sollten die Faszien regelmäßig trainiert und beansprucht werden.

Es gibt verschiedene Herangehensweisen, um die Faszien zu trainieren, allerdings entdeckt man eine große Parallele, wie die Belastung aussehen sollte, damit die Faszie gesund belastet wird: „Man muss im gedehnten Zustand eine federnde, mechanische Belastung auf die Faszie bringen.“, erklärt der Doktor der Sportwissenschaft. Und weiter: „Immer, wenn Elastizität ohne Muskelkontraktion ins Spiel kommt, dann wird die Faszie angesprochen.“

Faszientraining – die Ziele

„Man geht davon aus, dass die Faszie in bestimmten Bereichen Falten schlägt und anderer Stelle völlig überspannt ist.“, sagt der Mediziner. Daraus ergeben sich direkt die Ziele eines Faszientrainings. Die Faszie muss auf „passive Spannung gebracht werden, damit man die Federwirkung der Faszie provoziert, gleichzeitig aber durch bestimmte Dehnpositionen so gestreckt werden, dass sie sich optimal über die gesamte Funktionskette verteilt.“

Faszientraining – konkrete Übungen

Für ein Faszientraining hat Gharavi selbst ein Dehnungsprotokoll entworfen, in dem er bestimmte, in der Regel bekannte Dehnpositionen kombiniert (Hier könnt Ihr es im Video ansehen).

Für die ‚Verteilung‘ der Faszie bieten sich Faszienrollen an. „Man muss sich diese Rollen wie ein Nudelholz beim Teig ausrollen vorstellen – mit dem Unterschied, dass die Faszie natürlich an Anfang und Ende fixiert ist“, erklärt der Experte. „Was ich persönlich allerdings viel cooler an den Rollen finde, sind die Positionen, die man einnehmen muss. Oftmals muss man sich so verrenken, um die gewünschte Partie zu rollen, dass man den ‚Ganzkörperanzug‘ ordentlich auf Spannung bringt. Das kann dann der Faszie manchmal mehr bringen, als das Rollen selbst.“ Blackroll und Co sind auch in jedem Fall sinnvoll für das Gewebe. „Es schadet nicht, wenn alles einfach mal durchgeknetet wird.“ sagt Gharavi, schränkt aber auch gleichzeitig ein: „Ein Training muss immer multidimensional sein. Nur mit einer Faszienrolle wird man genauso wenig ein Problem lösen können, wie allein mit Fasziendehnung oder Krafttraining.“

Und noch etwas gilt es zu beachten: „Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die Variabilität eines Trainings. Wer neue Dinge ausprobiert, beispielsweise den Winkel bei einer Übung verändert, setzt neue Reize. Man muss auf seinen Körper hören. Das macht intelligentes Training aus.“

Es ist also nur recht und billig – und wichtig dazu -, dass die Faszien seit einigen Jahren aus ihrem Schattendasein treten. Gut trainierte Faszien allerdings als Allheilmittel gegen sämtliche Beschwerden zu sehen, ist dennoch zu kurz gedacht. Wer die Faszien aber in seinem Training berücksichtigt, kann durchaus an Flexibilität gewinnen, seinen Bewegungsspielraum erweitern und so eben auch ein verbessertes Zusammenspiel ganzer Bewegungsketten auf Muskel- und Gelenkebene erreichen. Alles Dinge, die für eine Leistungsverbesserung unerlässlich sind.

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