Skifahren ist Zeitverschwendung - Interview mit Freeride-Legende Glen Plake Nikola_Miljkovic und Samo_Vidic

Skifahren ist Zeitverschwendung - Interview mit Freeride-Legende Glen Plake

  • Christian Riedel
Viele kennen Glen Plakes Frisur besser als seine Fähigkeiten auf Skiern. Schließlich sticht sein bunter Irokesenschnitt immer aus der Menschenmenge heraus. Dabei gilt der mittlerweile 50-Jährige als Mit-Begründer des Freeriden, der mit seinen Filmen die Szene revolutioniert hat. Im Interview erzählt er, warum er sich nicht als Erfinder des Freeriden sieht und wie er zu seinem haarigen Markenzeichen kam.

netzathleten: Viele Leute kennen Dich vor allem wegen Deiner Frisur, wie oft machst Du das und wie lange brauchst Du überhaupt, bis die Haare richtig stehen.
Glen Plake:
Es gibt Zeiten, da laufe ich eine Woche oder länger damit herum. Ich mag diesen Look einfach. Es ist, als ob ich meinen Partyhut aufsetze und damit Skifahren gehe. Meistens style ich mich bei Sponsorenterminen oder Fotoshootings. Ab und zu aber auch einfach zum Spaß. Ich liebe den Irokesenschnitt einfach. Das dauert auch nicht so lange. Meine Frau hilft mit und dann sind es nur rund 15 bis 20 Minuten, bis die Frisur sitzt.

netzathleten: Wie kam es denn überhaupt dazu?
Glen:
Zunächst einmal ist es grundsätzlich immer lustig und spannend, wenn ich damit herumlaufe, beispielsweise beim Einkaufen oder im Flughafen. Es ist dann nicht nur mein Markenzeichen sondern ein Erkennungsmerkmal für den ganzen Sport. Man bekommt einfach die Aufmerksamkeit und die Leute sehen nicht nur meinen großen Irokesenschnitt sondern sagen oft auch, hey da kommt Glen Plake, der Skifahrer. Es ist so, als ob ich ein paar Skier mit mir herumtrage. Es ist wie eine Flagge, die ich mit mir herumtrage auf der steht: Hey, geht alle Skifahren.



netzathleten: Und wann hast Du den Irokesen das erste Mal gemacht?
Glen:
Ich bin als Skifahrer aufgewachsen, und wollte auch Rennen fahren. Ich war im Nationalteam und da musste man einem ganz bestimmten und normalen Typ entsprechen. Also ein aufrechter, gutaussehender und gutgelaunter, angepasster Amerikaner. Und das war ich nicht. Ich war ein ausgeflippter, kalifornischer Buckelpistenfahrer und wollte nicht aussehen wie ein Model. Und nach einem Jahr im Nationalteam habe ich aufgehört. Ich wollte auch keine Wettkämpfe mehr fahren und war es satt, aussehen zu müssen wie es andere wollten. Ich wollte nicht aussehen wie Barbies Freund Ken. Und dann bin ich einmal zu den Meisterschaften mit meinem Irokesenschnitt aufgetaucht. Dazu hatte ich eine Lederjacke statt meinen Skiklamotten an. Ich habe das Rennen gewonnen aber es war klar, dass ich keine Rennen mehr fahren werde. Ein Freund war damals gerade dabei, einen Skifilm zu drehen. Und er hat mich dann mit dem Irokesenschnitt und der Lederjacke gefilmt und da habe ich gemerkt, dass das viel mehr das Richtige für mich ist. Der Irokesenschnitt ist dann geblieben. Aber die Frisur ist auch ein Stück weit Druck, dass ich immer weiter an mir arbeite und weiter meinen Weg gehe.

netzathleten: Lebst Du seitdem einen Traum?
Glen:
Machst Du Witze? Absolut. Ich meine, wenn ich Steuern zahle, schreibe ich bei Beruf „Skifahrer“ hin. Das steht auch auf meinem Pass. Die Menschen die ich treffe, mit denen ich arbeite, mit denen ich Ski fahre, die Dinge, die ich gemacht und gesehen habe, alles ist ein Traum. Es ist ein goldenes Ticket, ohne Frage. Ich wünschte, ich könnte das kopieren und auch anderen Leuten geben. Ich versuche, das auch anderen Leuten zu vermitteln. Und ich teile gerne alles, was ich weiß, um anderen auch eine Kostprobe davon zu geben.

netzathleten: Als Du mit Skifahren angefangen hast war Freeriden noch nicht so bekannt. Warum bist Du lieber neben der Piste gefahren?
Glen:
Ich widerspreche zu hundert Prozent der Skiindustrie, was Freeriding bedeutet und woher es kommt. Und ich glaube nicht, dass ich etwas Neues gemacht habe. Ich habe mich von den Menschen vor mir inspirieren lassen. Wenn ich für etwas ausgezeichnet werde, dann nur, weil ich die Leute an etwas erinnert habe, was sie vergessen haben. Freeriding ist die eigentliche und originale Form von Skifahren. Als Hannes Schneider den modernen Skilauf gestartet hat, hatte er keinen Lift und keine gespurte Piste. Sie sind die Berge hoch gelaufen und ungespurte Hänge hinunter gefahren in einer natürlichen Umgebung. Später kamen Lifte und wir haben uns gefreut, dass wir nicht mehr so viel laufen mussten. Aber wir sind immer noch auf natürlichem Schnee gefahren, egal wie die Bedingungen waren. Wir haben Rennen erfunden und auch den Freestyle mit dem „Hot Dogging“, sind aber auch dann noch auf ungespurten Pisten gefahren. Erst in den späten 70ern und Anfang der 80ern haben wir die Pisten präpariert. Und damit haben wir uns auch über Ski Gedanken gemacht, die besser für Pisten sind. Aber ich glaube an Tradition und dass Freeriden die eigentliche Tradition ist. Rennen und Carving Ski sind die künstlichen Formen des Sports, die eben keine Tradition haben. Aber man darf mich nicht falsch verstehen. Ich fahre auch gerne mit Racecarvern die gespurten Pisten hinunter. Aber das ist eben nicht die Tradition. Das heutige Freeriden ist die Antwort auf die Tatsache, dass man eben nicht zugeben will, dass man heute oft nicht so fährt, wie man eigentlich fahren sollte, nämlich auf natürlichem Terrain. Man muss einfach mal versuchen, ein Foto aus den 80ern zu suchen, auf dem jemand mit Racecarvern fährt. Oder man sucht ein Bild aus den 40ern, auf dem die Leute im Powder unterwegs sind...

Für mich ist Freeriden also nicht eine neue Aktivität, sondern die eigentliche Aktivität. Und ich bin stolz zu sagen, dass ich das Freeriden vielleicht nicht erfunden habe, aber die Menschen an die ursprüngliche Form des Skifahrens erinnert habe.

netzathleten: Was bedeutet Skifahren für Dich?
Glen:
Es ist ein Lifestyle. Es ist Freiheit. Ein Freund, der klettert, hat Klettern einmal als „Eroberung des Sinnlosen“ (Conquest of the useless) bezeichnet. Und Skifahren ist für mich ähnlich. Skifahren ist eine große Zeitverschwendung, im positiven Sinn. Das hört sich zunächst sehr negativ an, aber wenn man einmal genauer drüber nachdenkt, versteht man vielleicht, was ich meine. Es ist eine wunderschöne, vielleicht die schönste Art der Zeitverschwendung. Und Zeit verschwenden, also einfach das machen, worauf man Lust hat, ist doch eigentlich das, was wir alle machen wollen.

Skifahren ist einfach das Größte. Wir bereisen die Welt auf Skiern, man kann auf so viele Arten fahren, man kann in Gruppen fahren oder in der Wildnis auch mal ganz alleine mit sich selber sein. Es gab Momente, wo ich mit Menschen gefahren bin, die eine andere Sprache gesprochen haben. Man konnte nur ja oder nein sagen oder lächeln. Aber trotzdem habe ich mit diesen Menschen eine großartige Zeit beim Skifahren gehabt. Man kann mit der ganzen Familie fahren, egal ob man nun jung oder alt ist und man macht es zusammen. Ich höre mich schon wie ein Marketing-Mensch an, aber das ist eben das, was Skifahren für mich bedeutet. Jeder sollte schwimmen können, Radfahren und Skifahren, weil man damit auf der ganzen Welt mit den Menschen Spaß haben kann.

netzathleten: Du bist in diesem Jahr 50 geworden. Hat sich das Skifahren in den letzten Jahren sehr verändert?
Glen:
Ich habe viele Dinge kommen und gehen sehen. Ich möchte, dass die Menschen wieder mehr ihre Stöcke benutzen. Ich möchte, dass man wieder kurze, harte Kurven fährt. Viele großartige Dinge sind gekommen. Aber einiges ist auch in Vergessenheit geraten wie zum Beispiel das Buckelpiste Fahren. Das macht heute keiner mehr, obwohl es so viel Spaß macht.

netzathleten: Glaubst Du, dass sich die Einstellung zum Skifahren geändert hat?
Glen:
Ich denke, dass die meisten nicht mehr so frei im Kopf sind, wie es vielleicht früher der Fall war. Irgendwie hat sich in vielen Köpfen der Gedanke breit gemacht, dass man fürs Skifahren eine Art Belohnung gibt, weil man vielleicht besonders viel oder besonders schnell gefahren ist. Früher hat man nur gesagt, ich gehe Skifahren und das wars dann. Ich habe das Gefühl, dass die Leute heute alles zählen wollen, wie viele Meter sie gefahren sind, wie schnell sie gefahren sind oder wie steil der Hang war. Heute wollen die Leute alles messen. Früher ging das nicht, da ging es eben nur um das Gefühl. Heute können die Leute das Gefühl viel weniger genießen, habe ich das Gefühl.

netzathleten: Hat sich Deine Art zu fahren geändert?
Glen:
Mein Stil ändert sich die ganze Zeit. Jedes Jahr arbeite ich an etwas, um etwas zu verändern und besser zu werden. Ich arbeite jedes Jahr hart, um meine Buckelpisten-Technik zu verbessern. Und weil sich das Material laufend ändert, muss ich meinen Stil auch daran anpassen. Beim Skifahren gibt es so viele Disziplinen und jede Disziplin ist eine neue Herausforderung, die man lernen und erforschen kann. Das Skifahren verändert sich und entsprechend muss ich mich eben auch daran anpassen.



netzathleten: Wie gesagt bist du jetzt 50 Jahre alt. Gibt es etwas, was Du nicht mehr machst, weil es zu riskant geworden ist?
Glen:
Ich kann ehrlich sagen, dass ich noch nichts von meinen Fähigkeiten eingebüßt habe. Wenn wir einen Sprung bauen und wir Backflips oder Double Backflips springen, bin ich dabei. Ich bin darüber natürlich sehr glücklich und dass auch mein Körper mitmacht. Ich bin immer noch in einer super Verfassung. Ich habe mit 24 Jahren mit allen Drogen und Alkohol aufgehört. Und das würde ich auch allen jungen Fahrern raten, wenn sie lange fit bleiben wollen.


netzathleten: Was war denn das Verrückteste, was du auf Skiern gemacht hast?
Glen:
Ich mag keine verrückten Sachen, weil es zu viele Möglichkeiten gibt, dass etwas schief geht. Aber jedes Mal, wenn wir in den richtig hohen Bergen sind, also ab einer Höhe von 5000 oder 6.000 Metern, besteht immer ein Risiko. Da ist es egal, wie gut man fährt oder wer Du bist, man ist ohne Frage in einer gefährlichen Umgebung. Das ist dann vielleicht schon etwas verrückt, aber hält uns nicht davon ab, raus zu gehen. Die verrücktesten Sachen waren vielleicht die Orte, an denen wir gefahren sind. Wir waren in China, kurz vor Peking. Wir waren in den USA auf 100 Fuß hohem Schnee. Letztes Jahr waren wir in Portoroz (Slowenien) und sind auf Kunstschnee gefahren und konnten dabei aufs Meer schauen. Das sind lustige Erinnerungen.

netzathleten: Was sind Deine nächsten Pläne?
Glen:
Wir testen Ski in Colorado und ab Ende November führe ich Skitouren in den USA. Wahrscheinlich geht’s dann auch wieder nach Indien.

netzathleten: Gibt es denn Länder, in denen Du noch nicht gefahren bist?
Glen:
Die gibt es tatsächlich, aber ich arbeite daran. Im Februar fahren wir nach Marokko, um im Atlasgebirge zu fahren. Da war ich tatsächlich noch nicht.

netzathleten: Gibt es noch etwas, was Du Dir zum Thema Skifahren wünschen würdest?
Glen:
Ja, es wäre schön, wenn die Leute wieder mehr relaxen würden. Genießt, wo ihr seid und was ihr macht. Genießt die frische Luft und genießt, dass ihr in der härtesten Umgebung auf der Welt seid und habt einfach Spaß. Und denkt immer dran, dass Ihr diese Dinger unter Euren Füßen habt, die keine Bremsen haben.

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