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Kopf hoch - der richtige Umgang mit Niederlagen

  • Christian Riedel
Verlieren gehört zum Sport mit dazu. Allerdings gibt es Niederlagen, die man nur schwer verarbeiten kann. Um für sich etwas Positives aus einer Niederlage ziehen zu können, ist es wichtig, zu wissen, wie man am besten mit dem sportlichen Misserfolg umgehen sollte.

Der 19. Mai 2012, gegen 23 Uhr: Philipp Lahm steht auf der Ehrentribüne der Münchner Allianz Arena und reckt den Champions-League-Pokal in die Höhe. Vor wenigen Minuten hat sein Verein, der FC Bayern München, den FC Chelsea im Endspiel um die europäische Fußballkrone besiegt. Tausende Bayern-Fans auf der Tribüne jubeln dem Kapitän der Münchner zu, während Lahm und seine Mitspieler im Siegestaumel jede Sekunde des Titelgewinns im eigenen Stadion auskosten – so etwa dürften es sich wahrscheinlich nicht nur der Spielführer des FC Bayern, sondern auch Millionen Anhänger der Münchner in den Wochen vor dem Finale ausgemalt haben.

Es kam anders: Statt den vermeintlichen Außenseiter aus London im eigenen Stadion zu besiegen, unterlag der FC Bayern nach einem klar überlegen geführten Match unglücklich im Elfmeterschießen und stürzte in ein Tal der Tränen. Vor allem die Elfmeter-Versager Arjen Robben, der bereits im laufenden Spiel einen Strafstoß vergab, sowie Ivica Olic und Bastian Schweinsteiger, die beim späteren Elfmeterschießen scheiterten, dürften noch lange an die Niederlage denken. Wie lange, hängt von der eigenen psychischen Belastbarkeit, vom Selbstvertrauen und vom Umfeld ab. Diese Niederlage war wohl mit die schlimmste, die man sich als Sportler vorstellen kann. Und wer weiß, wie die Karrieren der betroffenen Spielern weiter verlaufen wären, wenn sich die Bayern nicht im Jahr darauf die europäische Krone aufgesetzt hätten.

Niederlage ist nicht gleich Niederlage


Niederlagen gehören zum Sport mit dazu und es kann nur einer gewinnen. Diese Floskeln hat zwar jeder schon zig-fach gehört, trotzdem muss man sich das immer wieder vor Augen führen, bevor man an einer Niederlage zerbricht. Allerdings gibt es Niederlagen, die schlimmer sind als andere. Und auch die äußeren Umstände spielen eine Rolle, inwieweit man davon beeinflusst wird. Die Niederlage im Champions League Endspiel ist mit Sicherheit schwerer zu verarbeiten als ein verlorenes Vorbereitungsspiel. Ein zweiter Platz bei einem regionalen Wettkampf tut weniger weh als der Silberrang bei einem Weltcup. Ein verlorenes Spiel in der Liga ist auch bei weitem nicht so schmerzhaft wie beispielsweise bei einem Langdistanz-Triathleten, der sich monatelang auf einen einzigen Wettkampf vorbereitet hat.

Der zweite wichtige Punkt bei Niederlagen ist die Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist. Hat man die eigene Leistungsfähigkeit nicht abgerufen oder einen schweren Fehler gemacht, tut eine Niederlage sehr weh. Wenn der Gegner besser war, ist sie leichter zu verkraften. Auch bei entscheidenden äußeren Einflüssen wie ein technischer Defekt, eine falsche Schiedsrichterentscheidung oder ein plötzlicher Wetterumschwung schmerzt eine Niederlage zwar, doch sie hinterlässt im Normalfall keine so tiefe Wunden, da man diese ungünstigen Verhältnisse dafür verantwortlich machen kann.

Wie man mit Niederlagen umgehen muss, hängt auch davon ab, ob man als Favorit an den Start ging oder nur Außenseiter war. War das Ergebnis klar oder knapp, kann man sie abhaken oder daran zu knabbern haben. Unnötige, unverdiente, knappe und unerwartete Niederlagen sind im allgemeinen schwerer zu verarbeiten als klare und verdiente.

Umgang mit Niederlagen


Wie man mit einer Niederlage umgehen muss, hängt also in erster Linie davon ab, um was für eine Art von Niederlage es sich handelt und wie stark man dadurch belastet wird. Unmittelbar nach dem Wettkampf vermischen sich bei vielen Sportlern verschiedene Gefühle. Wut, Frust, Trauer, Verzweiflung, Apathie, ein Gefühl der Leere und auch Aggression gegen sich oder andere können unmittelbare Folgen einer Niederlage sein. So kann man nach vielen Finals unterlegene Athleten hemmungslos weinen sehen. Andere starren ins Leere, liegen minutenlang auf dem Boden oder wandern ziellos herum. Wieder andere beschimpfen den Gegner oder gehen, je nach Spielverlauf, auf den Schiedsrichter los. Vor allem macht sich Enttäuschung breit, wenn die Sportler jahrelang auf ein Ziel hingearbeitet und es kurz vor dem Erreichen doch noch verpasst haben. Dies kann zu heftigen Gefühlsausbrüchen führen. Bei Profisportlern vergrößert sich der emotionale Ausbruch noch einmal, da bei ihnen viele andere Faktoren eine Rolle spielen. Geld, Zeit und das Sozialleben stehen in engem Verhältnis zum sportlichen Erfolg. Wenn Athleten Erfolg haben möchten, müssen sie ihr ganzes Leben dem Sport unterordnen und im entscheidenden Moment topfit sein. Wenn dieser ausbleibt, kann sogar die Existenz gefährdet sein. Profisportler ziehen ihr Selbstbewusstsein zu einem erheblichen Teil aus sportlichen Erfolgen und ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Deshalb kommt bei Niederlagen zum Gefühl der vergeblichen Anstrengungen noch die Gefahr, dass sich ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl einstellt.

Wie gut sich Niederlagen verarbeiten lassen, hängt also in erster Linie davon ab, wie stark das Scheitern die Sportler emotional mitnimmt. Eine einfache Niederlage wird von den meisten Athleten nach dem Motto „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ schnell vergessen, während eine entscheidende Niederlage tiefere Spuren hinterlässt. Wichtig ist aber auch, welchen Anteil der einzelne an der Niederlage hat, besonders bei Mannschaftssportarten. Wer wie Bastian Schweinsteiger im Finale „dahoam“ einen womöglich vorentscheidenden Strafstoß verschießt, eine große Chance kurz vor Schluss vergibt oder als Torhüter einen folgenreichen Patzer begeht, ist den Vorwürfen der Fans und Mannschaftskollegen natürlich stärker ausgesetzt – und der Gefahr, das für Spitzensportler unerlässliche Selbstbewusstsein einzubüßen.

Niederlagen aus eigener Kraft wegstecken

Auch für Niederlagen im Sport gilt das Sprichwort, dass die Zeit alle Wunden heilt. Daher bringt es meistens nichts, sich immer wieder mit der Niederlage auseinanderzusetzen. In den ersten Tagen kann es helfen, sich abzulenken, damit man nicht mehr so oft an das unglückliche Ereignis denkt. Am glücklichsten ist, wer unter einer Niederlage einen Schlussstrich machen und daraus Lehren ziehen kann. Dies sagt sich natürlich leichter, als es ist, doch man kann die Vergangenheit nicht ändern und auch kein Finale noch einmal spielen. Man kann allenfalls dafür arbeiten, noch einmal eine ähnliche Chance zu erhalten.

Wichtig ist vor allem, sich immer wieder klar zu machen, dass Niederlagen zum Sport dazu gehören und dass man sich und anderen keine Vorwürfe machen sollte. Und auch wenn es platt klingt und schon tausendfach gesagt wurde: Es kann eben immer nur einer gewinnen. Oft hilft es auch, sich einem Freund, einem Familienmitglied oder Bekannten zu öffnen, wenn die Gefühle der Niederlage immer wieder in einem hochkommen. Wie bei vielen anderen psychischen Problemen kann das Sprechen bei der Verarbeitung helfen. Ganz wichtig bei einer Niederlage im Mannschaftssport kann der Trost der Mitspieler sein, wenn sie den Kollegen aufbauen, ihm positiv zureden und ihm vor allem keine Vorwürfe machen.

Hilfe vom Profi

Auch ein professioneller Sportpsychologe macht zunächst nichts anderes als zuzuhören. Dabei gibt er dem Athleten Raum, das Erlebte noch einmal Revue passieren zu lassen, seine Emotionen noch einmal auszuleben und dem Ärger Luft zu machen. Wichtig ist, dass der Betroffene im Gespräch selbst erkennt, welche Gründe es für die Niederlage gibt und welchen Anteil er selbst daran hat. So kann er seine persönlichen Lehren aus der Niederlage ziehen und wichtige Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen. Das kann bei der Aufarbeitung besser helfen als der Versuch, einfach weiter zu machen. Denn dabei wird die Niederlage nicht unbedingt verarbeitet, sondern verdrängt, was nicht grundsätzlich falsch sein muss, aber bei einigen Sportlern im ungünstigsten Fall zu langfristigen Versagensängsten führen kann.

Ob ein Sportler letztendlich eine Niederlage zu 100 Prozent verarbeitet hat, lässt sich nur schwer sagen. Auch hier hängt viel vom Charakter des Athleten ab. Blickt er nach vorne, zieht er die Konsequenzen aus der Niederlage, bereitet er sich motiviert auf den nächsten Wettkampf vor, so kann man davon ausgehen, dass die Niederlage in seinem sportlichen Leben keine lähmenden Spuren hinterlassen hat. Oft kann man auch erst in der nächsten Situation, die Parallelen zur Niederlage aufweist, mit Gewissheit sagen, ob das traumatische Erlebnis wirklich vergessen und abgehakt ist. Problematisch kann es natürlich dann werden, wenn ein Spieler, der beispielsweise einen extrem wichtigen Penalty im Eishockey vergeben hat, den Fehlschuss verarbeitet, aber beim nächsten Penalty erneut vergibt. Dann dürfte nicht nur sein Selbstvertrauen einen Knacks bekommen, vor allem würde der psychische Druck durch die Medien immer größer werden.

Das Gesetz der Serie

Ganz schwierig ist es, wenn die Niederlage in entscheidenden Momenten zu einer Art Gewohnheit wird. Dann kann sich bei den Betroffenen schon im Voraus eine negative Erwartungshaltung breit machen, getreu dem Motto: „Das Finale verlieren wir ja sowieso“ oder „Gegen diesen Gegner habe ich bei Olympia noch nie gewonnen“. Geht ein Sportler mit so einem Gefühl an den Start, ist es kein Wunder, wenn er den Wettkampf verliert. Das ist das Phänomen der „self fulfilling prophecy“, der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Auch hier spielen die Medien eine wichtige Rolle, wenn sie vor einem Duell zweier Sportler oder Mannschaften an Ereignisse aus der Vergangenheit erinnern und daraus angebliche Gesetze oder Regeln konstruieren.

Verlieren gehören zum Sport mit dazu. Nur im absoluten Ausnahmefall wie etwas beim früheren Box-Weltmeister Rocky Marciano, der in 49 Kämpfen ungeschlagen blieb, bleibt ein Athlet von Niederlagen verschont. Daher ist es wichtig zu lernen, wie man mit Niederlagen umgeht. Nur wer das Verlieren akzeptiert und aus verlorenen Wettkämpfen etwas lernt, kann gestärkt daraus hervor gehen und in der Zukunft wieder Erfolge feiern.

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